Gescheitert? – Die juristische Aufarbeitung des SED-Unrechts
(Zu einer diesem Thema gewidmeten Veranstaltung der
Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., des Berliner Landesbeauftragten für die
Stasi-Unterlagen und des Forums Recht und Kultur im Kammergericht e.V. am
18.11.2015 im Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität Berlin)
Wer von dieser Veranstaltung mehr als die hundertfach
strapazierten, gebetsmühlenartig wiederholten Propagandaklischees oder gar
einen Erkenntniszugewinn erwartet hatte, sah sich am Ende enttäuscht.
Auch Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, der ehem. Präsident
des Bundesverfassungsgerichtes, blieb mit seinen einleitenden Ausführungen in
den ausgelatschten Gleisen. Wieder einmal wurde z.B. gerechtfertigt, dass bei
Einhaltung des rechtsstaatlichen Prinzips „Keine Strafe ohne Gesetz“ die
Grenzsoldaten der DDR und ihre Vorgesetzten hätten nicht verurteilt werden
können, weshalb in diesen Fällen auf das sog. Naturrecht zurückgegriffen wurde.
So war vor allem interessant, was auf dieser
Veranstaltung nicht ausgesprochen oder vertuscht wurde.
Übereinstimmend wurde konstatiert, dass die juristische
Aufarbeitung des Nazi-Unrechts (der Begriff Faschismus wurde gemieden wie vom
Teufel das Weihwasser) nicht gelungen sei. So sei z.B. kein einziger
Nazi-Blutrichter wegen Rechtsbeugung verfolgt worden. Dr. Falco Werkenthin, Landesbeauftragter der BStU,
suchte das noch zu relativieren. Es wären 6 Verfahren gegen Angehörige von
Standgerichten, darunter allerdings auch juristische Laien, bekannt.
Bei der Aufarbeitung des Unrechts der „DDR-Diktatur“
wollte man besser agieren. Die Aufarbeitung mit juristischen Mitteln sei in den
vom Rechtsstaat gesetzten Grenzen nicht immer perfekt, im Ganzen wohl doch
gelungen. Prof. Papier betonte, dass die juristische Aufarbeitung durch weitere
Maßnahmen, wie z.B. Entlassungen von Personal im Haftvollzug,
Vermögensentscheidungen, Rehabilitierungen, Entschädigungen u.a. flankiert
worden sei. Dass etwa eine Million Staatsangestellte der DDR, darunter nahezu
alle Diplomaten, ein Viertel der Lehrer und mehr als die Hälfte der Hochschullehrer
ihre Arbeit verloren, wurde an diesem Abend nicht erwähnt.
Mit der immer wiederkehrenden Gleichsetzung der im Westen
nicht ernsthaft gewollten und mit großem Eifer in der DDR betriebenen
Aufarbeitung des Unrechts „beider Diktaturen“ wurde in unerträglicher Weise das
Nazi-Regime verharmlost und die Gleichsetzung der DDR mit Hitlerdeutschland faktisch
als Prämisse allen Aussagen unterstellt. Prof. Papier wies zwar darauf hin,
dass in der DDR „Führerbefehle“ im Gegensatz zu Nazi-Deutschland kein geltendes
Recht darstellten, er räumte auch ein, dass es für die Zeit von 1933 bis 1945
weit mehr Gründe für eine juristische Aufarbeitung gegeben hätte, sah aber
ansonsten keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem „Unrecht in der DDR“ und
Hitlerdeutschland. So scherte sich an
diesem Abend niemand an solchen Nazi-Verbrechen, wie
Und die Verbrechen der DDR?
Wer neues und aussagekräftigeres
Zahlenmaterial erwartet hatte, wurde enttäuscht. Genannt wurden die
bekannten Zahlen für Verurteilungen für „Gewalttaten an der Grenze“ (247, davon
30 mit Haft) und Rechtsbeugung (181, davon 7 mit Haft). Insgesamt hätte es 920
Anklagen gegeben, von denen 54 % zu Verurteilungen geführt hätten. Verschwiegen
wurden die insgesamt 20 Verurteilungen von MfS-Mitarbeitern, darunter nur eine
Haftstrafe.
Verurteilungen zu Haft bedeuteten immer Freiheitsentzug ab 2 Jahren und nur
diese sind nach der geltenden Definition als Verbrechen anzusehen. Alle anderen
Verurteilungen waren zur Bewährung ausgesetzte geringere Strafen, Geldstrafen, oder
gar nur Verwarnungen. Bei einer Hochrechnung aus den genannten Zahlen ergibt sich, dass in der fragwürdigen
Aufarbeitung des DDR-Unrechts insgesamt nur etwa 45 angebliche Verbrechen
aufgedeckt und abgeurteilt wurden.
Die große Diskrepanz der ursprünglich ca. 100.000 Ermittlungsverfahren zu
den Verurteilungen wurde damit erklärt, dass jeder Antrag auf Rehabilitierung automatisch
mit einem Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung verbunden wurde, dass
rechtsstaatliche Bedenken den Verfolgungseifer dämpften und man vielfach relativ
geringfügigen Beschuldigungen nachgegangen sei.
Nach Ansicht von Prof. Papier hätte man allerdings bei Rechtsbeugungen
härter durchgreifen müssen, die Beschränkung auf offenkundige Rechtswidrigkeit,
schwere Menschenrechtsverletzungen und Willkür erschien ihm zu großzügig.
Dr. Werkenthin vertrat die Auffassung, dass die
Waldheim-Richter überhaupt nicht nach Rechtsbeugung zu verurteilen waren,
sondern gleich nach Mord, Freiheitsberaubung usw., da die Waldheim-Prozesse
keine rechtlichen Verfahren gewesen seien. Dass in Waldheim gegen schwerste
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelt wurde,
spielte in solchen Überlegungen keine Rolle. Immerhin wurde erwähnt, dass in
Waldheim nur ca. 30 Todesurteile gefällt worden waren. Alle ca. 3.000 dort
Verurteilten wurden rehabilitiert und gelten heute als unschuldig.
Im Text der Einladung ist nachzulesen: Die Bilanz der Strafverfolgung falle
in einigen Bereichen unbefriedigend aus. So seien Verbrechen im
DDR-Strafvollzug kaum geahndet worden, auch Verfahren gegen die „Stasi“ seien
Ausnahme geblieben. „Wegen Zersetzung wurde nicht einmal Anklage erhoben,
obwohl sie als schwere Körperverletzung zu qualifizieren ist.“
Zahlen zur Verfolgung von „MfS-Straftaten“ wurden nicht genannt, sie wären
wohl doch angesichts der „Stasi“-Hysterie zu entlarvend gewesen. Staatsanwalt
Dr. Matthias Bath (in der DDR als „Fluchthelfer“
verurteilt), der aus dem Publikum heraus an seine Zugehörigkeit zu den „Republikanern“
erinnert wurde und maßgeblich an den Ermittlungen zum „DDR-Unrecht“ beteiligt
war, erklärte hierzu, dass man „mit kleiner Münze“ gehandelt hätte. So wäre
z.B. Hausfriedensbruch in der DDR nur eine Ordnungswidrigkeit gewesen, zu
Antragsdelikten habe es keine Anträge gegeben und Post- und Telefonkontrolle
wären letztlich ebenso wie „Postdiebsstähle“ – in Wirklichkeit die
Konfiszierung unerlaubt zur Einfuhr gekommener Sachen – am Ende nicht strafbar
gewesen. Was er nicht sagte war, dass die westlichen Geheimdienste dann auch
hätten bestraft werden müssen.
Prof. Dr. Rainer Schröder (Humboldt-Universität) bemerkte, dass
„Zersetzung“ schwer fassbar sei. Man sei mehreren tausend Fällen nachgegangen
mit einem sehr differenzierten Ergebnis. Viele hätten die Zersetzungsmaßnahmen
des MfS gar nicht bemerkt, andere hätten berufliche Nachteile erlitten, wieder
andere Eheprobleme bekommen. Das alles sei zwar moralisch verwerflich,
rechtlich aber nicht fassbar.
Inwiefern „Zersetzung“ als Körperverletzung geahndet werden könnte, legte
er allerdings nicht dar.
Dabei sind mehrere tausend Fälle von „Zersetzungs-Opfern“ ohnehin maßlos
übertrieben und vermutlich Ergebnis einer ausufernden Verwendung des Begriffes
Zersetzung. Danach wäre dann z.B. auch ein vom MfS veranlasstes Gespräch mit
einem Ausreiseantragsteller, das mit dem Ziel geführt wurde, ihm zum Verbleiben
in der DDR zu bewegen, eine Zersetzungsmaßnahme.
Die inflationäre Verwendung des Begriffes Zersetzung geht u.a. auf Frau
Sandra Pingel-Schliemann zurück, die zu diesem Thema promoviert und auch
publiziert hat.
Sie stellte sich im Juli 2003 einer Diskussion im Insiderkomitee und
vertritt die These, dass Zersetzungsmethoden das Wesen der „subtilen
totalitären Diktatur“ in der Ära Erich Honeckers ausgemacht hätten. Ihre
Dissertation gründete sie nach eigenen Aussagen in dieser Diskussion auf das
Studium von ca. 60 Operativ-Vorgängen des MfS. Sie war in der mit ihr geführten
Diskussion trotz hartnäckiger Nachfragen aber weder willens noch bereit,
darüber Auskunft zu geben, in wie vielen dieser Vorgänge sie denn überhaupt Zersetzungsmaßnahmen
gefunden habe.
Am Ende der Diskussion wurden Fragen zugelassen. Das nutzte sofort jemand,
der sich schon in der gesamten Veranstaltung mit einem großen Plakat als
„Folteropfer der Stasi“ präsentiert hatte. Wenn ich ihn richtig verstanden
habe, sei er nach 1989 in der Haftanstalt Moabit von der „Stasi“ gefoltert
worden. Damit war ich dann doch überfordert und habe die Veranstaltung
verlassen.
Übrigens stand die Veranstaltung unter dem Motto „25 Jahre deutsche
Einheit, 25 Jahre Beendigung des Kalten Krieges“. „25 Jahre Unterwerfung der
DDR“ wäre ein zutreffenderer Titel gewesen.
W.S. 22.11.2015