Doppelmoral beim Bespitzeln von Ostdeutschen durch BND
und Verfassungsschutz
© AFP 2018/ Patrick Hertzog
Ex-DDR-Ministerpräsident Hans Modrow ist von
westdeutschen Geheimdiensten bespitzelt worden – wie über 70.000 weitere
DDR-Bürger. Zum Teil noch 20 Jahre nach dem Mauerfall. Buchautor Robert Allertz schildert für Sputnik, wie Modrow gegen ein
Schweigekartell bei BND und Verfassungsschutz für Akteneinsicht und einen ehrlichen
Umgang mit Akten kämpft.
Robert Allertz
listet nüchterne Fakten auf. Hans Modrow war 16 Jahre SED-Chef im damaligen
DDR-Bezirk Dresden, 1989/1990 Ministerpräsident der DDR und 22 Jahre Mitglied
des mächtigen Zentralkomitees der SED. Allein diese Funktionen garantierten,
dass er ins Visier westlicher, insbesondere westdeutscher Geheimdienste geriet.
Alles andere wäre eine weltfremde Annahme, abgesehen von der Unprofessionalität eines Dienstes, der einen solchen Mann
nicht für observationswürdig gehalten hätte. Insofern waren die Auskünfte, die
Modrow im März 2014 vom damaligen Bundesinnenminister Friedrich und die
Linksfraktion im Deutschen Bundestag im Januar 2015 von der Bundesregierung
als Antwort auf eine sogenannte Kleine Anfrage erhielten, keine wirkliche Überraschung.
Das Überraschungsmoment steckte wie fast
immer im Detail. Die Bundesregierung erklärte nämlich lapidar, dass mit dem
Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes „die Bürger der DDR mit
dem 3. Oktober 1990 zu Staatsbürgern der Bundesrepublik“ wurden. Das sollte
wohl implizieren, dass etwa eine Beobachtung durch den Bundesnachrichtendienst
nach 1990 ausgeschlossen sei, weil der BND bekanntlich nicht im Inland tätig
werden darf. Allerdings räumte die gleiche Bundesregierung ein paar Sätze
weiter auch ein, dass „durch den BND zu Dr. Hans Modrow vom Juli 1958 bis zum
April 1990 Erkenntnisse gewonnen“ wurden. Allertz
findet das aus einem Grund bizarr, weil, wie er im Gespräch mit Sputnik sagt:
„der BND ja ein Auslandsnachrichtendienst ist, und nach dem Selbstverständnis
der Bundesrepublik war ja die DDR nie Ausland. Die Frage ist also, warum
interessiert man sich für Leute, die nach bundesdeutschem Selbstverständnis
Inland sind, warum interessiert sich dafür der BND?“
Warum
bespitzelt man so einen Mann?
Die Angelegenheit ist auch aus anderem Grund
merkwürdig. Denn als der BND mit der Beobachtung von Modrow begann, war dieser
ein eher unbedeutender Berliner FDJ-Funktionär. Was auch immer den BND am
FDJ-Funktionär Modrow so brennend interessierte: In Berlin hätte der BND
aufgrund des Viermächtestatus gar nicht aktiv sein dürfen. Damit noch nicht
genug. Die Bundesregierung musste auch einräumen, dass Hans Modrow seit 1965
zusätzlich vom Verfassungsschutz bespitzelt wurde. Ebenfalls von Westberlin
aus. Auch das war ein klarer Verstoß gegen den Sonderstatus der seinerzeit
geteilten Stadt.
Richtig anrüchig aber wird die Affäre laut Allertz, weil die Bespitzelung von Modrow durch den
Verfassungsschutz sogar 20 Jahre nach dem Mauerfall noch nicht endete, wie die
Bundesregierung zugeben musste. „Der Bundesinnenminister hat ihm 2013
mitgeteilt, dass die Beobachtung 2012 beendet worden sei. Modrow war
in den 90er Jahren Abgeordneter des Deutschen Bundestages und von 1999 bis
2004 des Europaparlamentes, und es war kein Kalter Krieg. Warum also bespitzelt
man einen solchen Mann?“
Es
geht um die Gleichbehandlung deutsch-deutscher Geschichte
Das interessiert Hans Modrow aber weniger aus
gekränkter Eitelkeit, sondern, weil es seiner Meinung nach um Geschichte gehe,
die wir begreifen müssen, wie er im Gespräch mit Sputnik erläutert:
„Es
gab zwei Staaten, es gab zwei Geheimdienste. Und es wird heute in der
Öffentlichkeit agiert, als gäbe es nur einen Geheimdienst, der die
Bundesrepublik, nehmen wir ruhig das Wort, ausspionierte, und der Westen habe
die DDR nicht ausspioniert. Das ist inzwischen wohl klar: Beide Seiten haben im
Kalten Krieg auch mit ihren Geheimdiensten gearbeitet. Mir geht es um das
Politikum. Der Kalte Krieg hat auch diesen Inhalt gehabt.“
Allertz bekräftigt, dass Modrow natürlich weiß, wie Politik
und Geheimdienste funktionieren und wie Ost und West im Kalten Krieg agiert
haben. Aber Modrow gehe es ums Prinzip, sagt Allertz:
„Der Vorgang an sich ist nicht kritikwürdig. Das Kritikwürdige besteht darin,
dass man sich zu dieser Vergangenheit nicht bekennt, und das ist auch der
Ansatz von Modrow, zu sagen, okay, es war so, aber bitteschön, dann gebt es
auch zu. Weil, alles was schlimm war an der deutschen Geschichte, fand
in der DDR statt, während eben in der Bundesrepublik nur die
Saubermänner umherliefen. Es geht um die Gleichbehandlung der deutsch-deutschen
Vergangenheit.“ Das sei der Antrieb von Hans Modrow, um die Einsicht
in seine Akten bei bundesdeutschen Geheimdiensten zu kämpfen. Er könne vor
allem nicht einsehen, warum diese Dienste ihn selbst dann noch bespitzelt
haben, als er gewählter Volksvertreter im vereinigten Deutschland war.
Die
eigenen Akten deckeln, mit MfS-Akten instrumentalisieren
Es gehe nicht nur um Prominente wie Modrow. Immerhin
wurden über 71.000 DDR-Bürger durch westdeutsche Geheimdienste ausspioniert.
Für Allertz ist die Sache klar:
„Das
ist eine Größenordnung, so viel politisches Personal gab es in der DDR
nicht, das heißt, es müssen auch ganz normale Leute gewesen sein, die dort
observiert worden sind. Und nun wissen wir, das behauptet wird, das MfS habe
flächendeckend observiert, während eben die anderen Dienste, die
bundesdeutschen Dienste frei von Schuld und Sünde sind. Das ist der eigentliche
Knackpunkt: Nicht nur hier wurde spioniert, sondern auch ihr habt das getan.“
Stellvertretend für all die Tausenden
will Hans Modrow Akteneinsicht erstreiten, genauso, wie es sie für die
Stasi-Akten gebe. Allertz berichtet in seinem
Buch minutiös über die Salamitaktik, mit der BND und Verfassungsschutz versucht
haben, Modrow hinzuhalten. So habe es zum Beispiel zunächst angeblich nur ganze
neun Seiten Akten gegeben, in denen aber so gut wie alles geschwärzt war.
Dann seien angeblich weitere 14 Seiten wie aus dem Nichts aufgetaucht usw.
Kurios sei dabei das Argument des Quellenschutzes gewesen, mit dem die Dienste
Auskünfte darüber verweigerten, wer Modrow seinerzeit bei den Diensten
anschwärzte, sagt Allertz: „Da ist zu Recht die
Reaktion von Modrow gewesen zu sagen, die sind garantiert nicht mehr unter den
Lebenden, die werden nicht alle 90 Jahre alt wie er. Da hieß es dann, naja, die
haben Kinder und Angehörige, und auch die müssen geschützt werden. Also diese
Art von vornehmer Zurückhaltung, die kannte man im Umgang mit den Stasi-Akten
und mit Leuten, die mit dem MfS zusammengearbeitet haben, merkwürdigerweise
nicht. Ihre Akten deckeln sie, während die Akten vom MfS gefleddert werden, um
Leute immer noch zu denunzieren.“
Modrow
will Akteneinsicht vor dem Bundesverwaltungsgericht erzwingen
Hans Modrow klagte gegen diese Praxis. Ende Februar
wird das Bundesverwaltungsgericht darüber befinden, ob Modrow das Recht hat,
seine BND- und Verfassungsschutz-Akten einzusehen. Vielleicht wird am Ende aber
nur die gleiche ernüchternde Erkenntnis stehen, wie sie schon der heutige linke
Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow hatte. Nach jahrelangem,
zermürbendem Prozessieren bescheinigte ihm das Bundesverfassungsgericht 2013,
dass die jahrelange Bespitzelung durch den Verfassungsschutz gegen das
verstieß, was dieser Dienst eigentlich schützen sollte. Doch echte Konsequenzen
hatte dieses Urteil nicht.
Weder die Politiker noch die Beamten,
die dieses verfassungsfeindliche Verhalten anordneten, ausführten, duldeten und
verteidigten, mussten sich für ihren jahrelang betriebenen Verfassungsbruch
strafrechtlich verantworten. Viele von ihnen sind bis heute in Amt und
Würden. Es wurde auch nicht bekannt, was an Informationen sie über Ramelow
sammelten, welche IM in seiner Umgebung eingeschleust worden waren, was
sie über ihn berichteten. Und nicht zuletzt ist vollkommen unklar, ob die Akte
Ramelow tatsächlich vernichtet wurde. Das Misstrauen scheint nicht gänzlich
unbegründet.
Der BND war zum Beispiel schon einmal angewiesen
worden, Dossiers über diverse bundesdeutsche Politiker wie Willy Brandt zu
löschen, die verfassungswidrig angelegt worden waren. Seinerzeit wurde bekannt,
dass der BND zwar die Originalakten anweisungsgemäß vernichtete, aber Kopien
archiviert hatte und auch dreist damit argumentierte, von der Vernichtung von
Kopien sei nie die Rede gewesen. Wenig überraschen dürfte deshalb auch, dass
Akten zur NS-Vergangenheit von altwestdeutschen Prominenten vorbildlich
vernichtet wurden, wie 2011 herauskam. Erinnerungen an die Vergangenheit des
BND kamen auf, der bekanntlich im April 1956 aus der Komplettübernahme des
faschistischen Geheimdienstes „Fremde Heere Ost“ entstand. Vier Monate bevor
das Bundesverfassungsgericht die KPD wegen angeblicher Verfassungsfeindlichkeit
verbot.