junge Welt
13.04.2006 / Inland / Seite 5
Das volle DDR-Programm
Leicht erregte Auftritte bei einer Buchvorstellung von MfS-Autoren in Berlin
Von Arnold Schölzel
Das Aufgebot war gewaltig: Sechs Fernsehteams, diverse Rundfunkmikrophone und etwa 80 Interessierte drängten sich am Mittwoch vormittag im Raum »Lichtenberg« des Ramada-Hotels in der Berliner Ruschestraße. Angekündigt war die Vorstellung zweier Bücher: Oberst a. D. Peter Pfütze, der von 1974 bis 1989 etwa 3500 Besuche bundesdeutscher Diplomaten bei in der DDR inhaftierten Landsleuten organisierte, sollte seinen Band »Besuchszeit« vorstellen. Oberst a. D. Gotthold Schramm hat drei Jahre nach dem von ihm herausgegebenen Band »Kundschafter im Westen« erneut 34 Autorinnen und Autoren für den Sammelband »Der Botschaftsflüchtling und andere Agentengeschichten« gewonnen.
Zunächst verlief alles gesittet: Verleger Frank Schumann wies auf den historischen Ort hin - ein ehemaliges Ledigenheim des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) -, Autor Pfütze trug vor, Schramm erläuterte knapp das Zustandekommen des Buches; Dr. Johannes Koppe, seit Anfang der 50er Jahre für die DDR im Bereich Kernenergie der Bundesrepublik aktiv, trug die Schilderung seiner Flucht aus Hamburg via sowjetischer Botschaft in Bonn nach Ostberlin Anfang 1979 vor.
Pfütze knüpfte an einen Spiegel-Artikel aus den 70er Jahren an, in dem ein Bonner Diplomat schilderte, wie unvorbereitet er auf die Häftlinge in der DDR traf: Sie hatten Straftaten begangen. Was in seinem DDR-Bild nicht vorkam. Als Pfütze sich nach ihm in der Ständigen Vertretung erkundigte, wurde bedeutet, daß es solch einen Artikel nie wieder geben werde. Die Prophezeiung hielt bis 1989. Die Besuchstätigkeit lief nach Pfützes Schilderung in einvernehmlich vereinbarten Bahnen: Für die etwa 550 Häftlinge aus Bundesrepublik und Westberlin in der DDR waren 35 Mitarbeiter der Ständigen Vertretung aufgeboten - darunter der spätere BND-Chef und jetzige Innenstaatssekretär August Hanning -, die im Durchschnitt vier Besuche pro Tag absolvierten. Laut Pfütze war ein besonderes Problem die Illusion vieler Gefangener, daß sie durch die westdeutschen Diplomaten rasch in den Westen gebracht werden konnten. Da dies erst nach rechtskräftigem Abschluß der juristischen Verfahren möglich war, waren alle, Pfütze unterstrich, alle, zu einem Geständnis bereit. Aus Enttäuschung über ausbleibende Hilfe der westlichen Stellen seien auch einige zur Zusammenarbeit mit dem MfS bereit gewesen.
An dieser Stelle versuchten andere Veranstalter, die Pressekonferenz zu übernehmen. Die Kameras schwenkten auf lautstarke Rufer, die mit »der größte Mist, den ich je gehört habe« und »alles Blödsinn« Sachdienliches beitrugen. Die MfS-Opfer waren auf den Plan getreten und stellten eine Art Rütli-Schulhof-Situation her: Auf der einen Seite hoch aggressiv vorgetragene Wortfetzen - »rotlackierte Faschisten«, »Menschenschinder« - auf der anderen Seite endlose Geduld. Möglicherweise wie einstmals.
Die Repräsentanten der veröffentlichten
Meinung wurden sauer. Dem stellvertretenden Vorsitzenden des Beirates der
Gedenkstätte Hohenschönhausen (Direktor
Hubertus Knabe: »Dachau der DDR«)
fiel gewohnheitsmäßig ein, daß
die DDR-Nazireich-Gleichsetzung zu seinem Job gehört. Überhaupt:
Alles Verharmlosung einer Diktatur, und in der DDR wäre
so eine Veranstaltung nie möglich gewesen. Das volle
Programm. Im Tumult war die Stimme eines Historikers der Gedenkstätte
kaum zu vernehmen: Er nehme das Angebot der MfS-Offiziere, zur Aufklärung
beizutragen, an.
Das hätte die Nachricht des Tages sein können. Aber: Wenn der Generalbundesanwalt 27fache Stasi-Killermärchenerzähler einfach laufen läßt, was machten dessen Opfer? Bücher, wie die vorgestellten, fördern solche Fragen.
• Peter Pfütze: Besuchszeit. Westdiplomaten in besonderer Mission, edition ost, Berlin 2006, 220 Seiten, 14,90Euro
• Gotthold Schramm (Hg.):
Der Botschaftsflüchtling. Und andere
Agentengeschichten, edition ost,
Berlin 2006, 220 Seiten, 14,90 Euro