„Junge Welt“,
27.12.2019
Roland Jahn - Kenntliche Figur des Tages
Wer dachte, in Deutschland traue sich sogar einer, der mit
dem täglich erneuerten Angriff auf einen längst niedergestreckten Gegner seinen
Lebensunterhalt verdient, nicht einmal im Traum, mit der Idee anzutreten,
diesen Gegner einer ihm zugeschriebenen moralischen Minderwertigkeit oder
politischen Verwerflichkeit wegen amtlich zu kennzeichnen, hat jetzt gelernt:
Das geht schon. Roland Jahn will, wie dpa am ersten Weihnachtsfeiertag
verbreitete, dass Doktortitel, die ehedem von der Hochschule des Ministeriums
für Staatssicherheit vergeben wurden, mit dem verpflichtenden Zusatz »Stasi«
versehen werden: »Doktor der Stasi – das wäre dann echte Transparenz.«
Da Jahn vermutlich klar war, dass jeder, der über ein
Minimum an Anstand und Geschmack verfügt, diesen Vorstoß für etwas irre halten
dürfte, hat der »Bundesbeauftragte für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes« der Nachrichtenagentur vorsorglich noch mitgeteilt,
dass es hier nicht darum gehe, »Menschen bis in alle Ewigkeit abzustempeln und
zu verdammen«. Die Botschaft an die Betroffenen ist: Ob aus der Nummer eine
»Ewigkeit« wird, habt ihr immer noch selber in der Hand – ihr braucht den
Titel, den wir euch laut Einigungsvertrag nicht aberkennen dürfen, ja nicht
mehr führen. Wer 1989 oder früher einen Doktortitel an der fraglichen
Hochschule erwarb – das sind weniger als 500 Personen –, dürfte sein aktives
Berufsleben entweder schon heute oder demnächst hinter sich haben. Viele
»Stasi-Doktoren« sind es also nicht, deren berufliche Existenz Jahn gefährden kann.
Es ist ein anderer Impuls, der sich hier verrät: Wer mag
noch ausschließen, dass auf den »Doktor der Stasi« die Forderung nach der
verpflichtenden Offenlegung einer früheren Mitgliedschaft in der SED folgt?
Zeigt sich bei dieser Gelegenheit, dass jenes trübe Milieu hasserfüllter
Antikommunisten, für das Jahn spricht, von einem roten Winkel träumt? Es ist
Jahn selber, der sich hier kenntlich macht.
Nico Popp