Junge Welt
Aus: Ausgabe vom 21.08.2019,
Seite 11 / Feuilleton
DDR-Aufarbeitung
Die offen
gehaltene Wunde
Arbeitsgruppe Ramelow, Filmteam, Buch,
Musiktheater ... – Zum Thüringer Treiben um den Fall Matthias Domaschk
Von Robert Allertz
»Es ist schreiendes Unrecht geschehen«
(Bodo Ramelow)
Vor anderthalb Wochen hat sich der ehemalige
Wall-Street-Banker und Kinderhändler Jeffrey Epstein in der U-Haft in New York
mit einem Laken erhängt. Die Obduktion verwies alle Verschwörungstheorien ins
Reich der Hirngespinste, der Milliardär hatte selbst Hand an sich gelegt. Wird
in 30, 40 Jahren ein Regierungschef eine Arbeitsgruppe zum Fall Epstein
einrichten, mit Historikern, Rechtsmedizinern, Kriminaltechnikern, Zeitzeugen
und Behördenvertretern? Wird ein Filmteam deren Untersuchungen über Jahre begleiten?
Wird ein Buch darüber geschrieben, ein
Musiktheaterstück auf die Bühne gebracht werden? Selbst in den USA scheint dies
unwahrscheinlich. Der Befund ist eindeutig, und eine Lichtgestalt war der
Verblichene wahrlich nicht. Da verliert sich jede Spannung.
Anders verhält es sich beim ähnlich gelagerten Fall
Matthias Domaschk. Der trug sich nämlich 1981 in der
DDR zu, und zwar in einem Objekt der Staatssicherheit. Nach einem Gespräch, in
dem sich der 24jährige verpflichtet hatte, für das MfS in Jena als »Inoffizieller
Mitarbeiter« tätig zu werden, strangulierte er sich mit seinem Hemd an einem
Heizungsrohr. Alles deutete auf einen Suizid hin, ergab die Obduktion am
Institut für Gerichtliche Medizin und Kriminalistik der
Friedrich-Schiller-Universität in Jena. In solch tragischen Fällen, in denen
Menschen unerwartet Hand an sich legen, können Angehörige, Freunde und Bekannte
sich oft nicht vorstellen, allein gelassen worden zu sein – ohne Gruß und
Abschied. 1990 kamen Stasihysterie und »Unrechtsstaat«-Geschrei hinzu. Es
folgte eine Anzeige wegen des Verdachts der Tötung. Das Ermittlungsverfahren
wurde im September 1994 mit der Begründung eingestellt, dass eine
Fremdeinwirkung nicht nachweisbar sei.
Vorsätzliche Tötung kam damit nicht in Frage, also
wurden 2001 ehemalige MfS-Mitarbeiter wegen Freiheitsberaubung angeklagt. Sie
akzeptierten, der jahrelangen Hatz überdrüssig, einen angebotenen Deal samt
Strafbefehl. Zwei widersprachen. Der eine war am fraglichen Tag nicht im Dienst
und wurde freigesprochen. Übrig blieb der, der als letzter mit Domaschk im Besucherzimmer 121 gesprochen und ihn als IM
geworben hatte. Dieser Hauptmann a. D.
war aufgrund mehrerer Beiträge Roland Jahns für das TV-Magazin »Kontraste« seines Jobs bei einer Immobilienfirma am Berliner
Kurfürstendamm
verlustig gegangen. 2013 sollte eine hauptstädtische Medienkampagne dafür
sorgen, dass er auch seine Tätigkeit als Centermanager in der Marheineke-Markthalle in Kreuzberg verlor, die er ungestört
und erfolgreich über Jahre ausgeübt hatte.
Als Thüringen Anfang 2015 eine
rot-rot-grüne Landesregierung bekam, erklärte diese umgehend, »zweifelhafte
Todesfälle aus DDR-Zeiten wieder aufrollen« zu wollen. Wie aus der
Staatskanzlei von Bodo Ramelow (Die Linke) verlautete, gehe es »zunächst um den
angeblichen Selbstmord des Bürgerrechtlers Matthias Domaschk
1981 in der Stasihaft in Gera«. Zu diesem Zweck richte man eine Arbeitsgruppe
in der Staatskanzlei ein. Und nach deren Konstituierung kam laut
»Medieninformation 37/2015« aus der Kanzlei: »Es ist schreiendes Unrecht
geschehen, erklärte Bodo Ramelow. Als Ministerpräsident fühle ich mich in der
Pflicht, zur umfassenden Aufklärung beizutragen.«
Nun, die »umfassende Aufklärung« ist abgeschlossen,
die Thüringische Landeszeitung meldete am 14. August, die Arbeitsgruppe
habe die Ergebnisse von vier Jahren Untersuchung vorgelegt. Überschrift: »Die
genauen Todesumstände von Matthias Domaschk bleiben eine Rätsel.« Wirklich? »Mord oder Suizid? Letztlich bleibt
eine eindeutige Antwort auch jetzt aus. Jedenfalls ist klar, dass es – wie
immer es auch gewesen sein mag – nicht so gewesen sein kann, wie es damals von
offizieller Seite dargestellt wurde.«
Offenkundig gibt es ein politisches Interesse, diese
Wunde offenzuhalten. Die junge Welt informierte 35 Jahre nach Domaschks Tod sehr detailliert auf zwei Seiten über die
Vorgänge (»Streit um Tod«, 9. April 2016), drei Tage später reagierte Die
Welt genervt: »Sicherheitshalber hat bereits die von alten Stasikadern
dominierte Tageszeitung junge Welt schon einmal die Legende vom
bedauerlichen Selbstmord als ›Kurzschlussreaktion‹ weitergestrickt.«
Man könnte das Thüringer Treiben und das der
publizistischen Hilfstruppen mit Christian Morgenstern abtun: »›Weil‹, so schließt er messerscharf, ›nicht sein kann, was
nicht sein darf‹.« Wäre da nicht dieser unsägliche Opportunismus linker
Funktionäre, freiwillig jeden Kotau zu vollziehen, den DDR-Hasser und
Antikommunisten von ihnen verlangen.