„junge Welt“ vom 28.01.2019
Ein Märchen
Wie die FAZ ihre DDR rettet
Peter Merg
Der Schriftsteller Christoph Hein, bekanntlich nicht der schlechteste, den die untergegangene DDR hervorgebracht hat, macht sich unbeliebt: In seinem im März bei Suhrkamp erscheinenden Band »Gegenlauschangriff. Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Krieg« äußert er sich mit 14 Jahren Abstand zu Florian Henckel von Donnersmarcks Oscar-gekröntem DDR-Horror »Das Leben der Anderen« (2005) und bezeichnet diesen zutreffend als »Hanswurstiade« und »Gruselmärchen, das in einem sagenhaften Land spielt, vergleichbar mit Tolkiens Mittelerde«. Er habe dem Regisseur weiland ausführlich zu seinem Leben Auskunft gegeben, dieser die Vorlage aber derart antisozialistisch ausgeschmückt, dass er es sich schriftlich verbeten habe, im Vorspann genannt zu werden. Seitdem schmollt der Filmemacher offenbar.
Woher wir das schon wissen können? Die Süddeutsche Zeitung war so freundlich, die kurze Buchpassage vergangene Woche vorabzudrucken. Das passte gut zu Donnersmarcks neuerlicher Oscar-Nominierung für »Werk ohne Autor«, noch so einem geschichtspolitisch einwandfreien, weil mehr an gefälligem Kitsch denn an historischen Fakten interessierten Schmonz, den sicherlich dennoch wieder einige Geschichts- oder Sozialkundelehrer ihren Schützlingen verordnen werden, weil der bebilderte »Unsinn« (Hein) »den Vorteil hat, sich vom offiziellen Unsinn zum Thema nicht zu unterscheiden, wie Welterfolge ja nicht unbedingt mit Irritationen erzielt werden« (Stefan Gärtner). Zumal der weltberühmte Maler Gerhard Richter, von dessen Biografie sich der cinephile Kleinadlige zu seinem neuesten Wurf inspirieren ließ, mit dem Machwerk ebenfalls nichts zu tun haben will.
Aber dem
neuerlichen Welterfolg soll nichts entgegenstehen, weshalb nun der in
literarischen Dingen sonst sachkundige und vertrauenswürdige Andreas Platthaus antritt, in der FAZ (Dienstag)
Donnersmarcks Ehre zu verteidigen. Hein schwindele selbst, der Film habe keinen
Vorspann, außerdem sei er gar nicht das
Vorbild gewesen, die Hauptfigur sei schließlich Dramatiker und
nicht Romancier etc. pp. Der Mann hat immerhin einen Punkt: Tatsächlich scheint Hein
etwas zu selbstverständlich
davon auszugehen, es sei eine Verfilmung
seiner Vita beabsichtigt gewesen. Dass, wer Kunst schafft, nicht dazu verpflichtet ist, sich
sklavisch nach realen Vorlagen zu richten -geschenkt. Doch Hein zielt nicht
allein auf Faktentreue im Einzelfall,
es geht ihm ums Allgemeine. Das markiert schon der Mittelerde-Vergleich: »Der Herr der Ringe
wollte mit einem Märchen
die reale Welt beschreiben, es sollte wohl eine Allegorie sein, in der Sauron der
Abscheuliche für
Stalin stehen soll und Saruman, der Mann der schlauen
Pläne,
Hitler darstellen sollte, während
die Freien Völker
die Alliierten verkörperten.« Auch Donnersmarck wollte
ein Märchen:
Hier die guten prowestlich Oppositionellen, dort die böse SED-treue Stasi. Dass
letztere gegenüber
vielen Literaten die Zügel
locker ließ,
wie Hein betont, stört
da nur: »Diese
Wahrheit ist für
ein Melodrama ungeeignet. Um Wirkung zu
erzielen, braucht es ein Schwarz-Weiß,
werden edle Helden und teuflische Schurken benötigt.«
Diese Wahrheit stört auch den Frankfurter
Literaturredakteur, der Äußerungen, »die graduelle Unterschiede in einer Diktatur festhalten wollen«, als »zynisch« brandmarkt. Ob es nicht eher zynisch
ist, historische Realität
der eigenen Angstlust anzupassen, weil sie
sich so schaurig-schön wegerzählt? Aber Platthaus muss es wissen, dafür bürgen seine Lebensstationen
Aachen, Köln, Tübingen. Schon Donnersmarck
(New York, Frankfurt am Main, Brüssel, Oxford, ach ...) fand Henry Hübchens
Hinweis, niemand erkenne in seinem Streifen die DDR wieder, eine Verhöhnung der
Unrechtsstaatsopfer. 2006 schrieb die junge Welt, es handele sich um
einen Film, der die Wissenden von den Unwissenden
trennt.
Auf das
resignierte Resümee
des Schriftstellers geht Platthaus denn auch kaum ein. Das fasst Hein in die
Form der Anekdote: Ein Germanistikprofessor berichtete ihm, wie er vor wenigen Jahren im Seminar Heins
Anti-Zensur-Rede von 1987 behandelt habe. Die Studenten hätten nicht glauben mögen, dass der Verfasser
dafür
kein Zuchthaus bekam, sie hätten
schließlich
»Das
Leben der Anderen«
gesehen. »Man
sei (...) nach diesem Seminar in Unfrieden voneinander geschieden.«