"junge Welt", 2.11.2020
Mit Sicherheit
Henry
Nitschkes akribische Studie über die Personenschützer des MfS in der DDR
Uli Jeschke
Der alte DDR-Witz mit der Frage, ob denn
bestimmte Veranstaltungen stattfänden und der Antwort darauf: mit Sicherheit,
bezog sich auch immer auf das Wirken einer spezielle Gruppe,
den Personenschutz. In der DDR war der Personenschutz in das Ministerium für
Staatssicherheit eingegliedert, als eigene Hauptabteilung, die HA PS
(Personenschutz). Wenn man nun (fast) alles darüber lesen kann, ist das auch
dem enormen Fleiß des Autors Henry Nitschke zu verdanken. Wie schon in seinen
Bänden über die Spionageabwehr des MfS bedient er sich der Fachsprache, die in
der DDR üblich war. Das macht die Sache sehr authentisch, mitunter aber etwas
kompliziert, da er sich so auch der Erklärung und Definition von Begriffen
entzieht. Kritiker mögen das für distanzlos halten. Doch bei der Materialfülle
können sich Leser in vielen Fällen selbst ein Bild machen.
In den kommunistischen Parteien gab es
frühzeitig Abteilungen, die sich mit dem Schutz der führenden Funktionäre
befassten. Nach 1945 schufen sich die sozialistischen Länder Schutzapparate für
ihre Repräsentanten. In der jungen DDR wurde diese Aufgabe zuerst der
Volkspolizei und dann dem MfS übertragen. Der Beschluss zur Gründung einer
Abteilung Personenschutz für hohe Staats- und Parteifunktionäre wurde im
Politbüro der SED gefasst. Nitschke zitiert aus einer Diplomarbeit von
PS-Offizieren aus dem Jahr 1974: »Konkrete Angriffe auf Leben und Gesundheit
der führenden Repräsentanten der DDR und ihrer ausländischen Gäste hat es,
außer im Stadium der Vorbereitung (Planung), vor allem durch die Wirksamkeit
der Aufklärungs- und Abwehrmaßnahmen der verantwortlichen Linien des MfS in der
Vergangenheit nicht gegeben.«
Das blieb so bis zum Ende der DDR. Der
Aufwand war gewaltig. Zum Personenschutz gehörten in der DDR nicht nur die
unmittelbaren Nahbereichsschützer, sondern auch Servicekräfte im Wohnbereich
Wandlitz, Objektschützer, Vorfeldaufklärer, Analytiker, Verkehrsregler, die
Kolonnenfahrten begleiteten, Ausbilder und besondere Eingreifkräfte. Dazu kamen
Kräfte in den Bezirken und Kreisen.
Die PS-Mitarbeiter waren gut
ausgebildet, motiviert und diszipliniert. So kamen auch aus dem Ausland nie
Klagen über die Begleiter von DDR-Politikern. Natürlich gab es Gefährdungen:
Vorfälle im Ausland und auch Pläne für entsprechende Angriffe in der DDR.
Nitschke listet einige auf. Er behandelt auch jenes Ereignis, das als
»Honecker-Attentat« durch die Geschichte geistert und mit einem Attentat so
viel zu tun hat wie ein Wal mit einem Fisch.
Die DDR-Personenschützer legten übrigens
Wert darauf, nicht Leibwächter oder Bodyguard genannt zu werden. Einige der
Nahbereichsschützer wurden nach dem Ende der DDR gern von den neuen Herren
weiter beschäftigt, ohne dass die Stasikeule geschwungen wurde – oder nur ein
bisschen, wenn es darum ging, dass so ein Originalwestbodyguard doch ein wenig
mehr verdienen müsse.
Henry Nitschke: Die Personenschützer des
MfS. Strategien und Taktiken zur Absicherung der DDR-Staatsrepräsentanten.
Edition Berolina, Berlin 2020, 637 Seiten, 29,99 Euro