Aus: Ausgabe
vom 12.08.2017, Seite 1 / Titel
Alles so schön gruselig hier
Merkel im Mekka des
Antikommunismus: Ehemaliger Stasiknast wird vor dem Mauerbau-Jahrestag zur
Wahlkampfarena
Von Michael Merz
Das mediale Sommerloch
muss gefüllt werden. Kaum aus dem Urlaub zurück, stürzte sich Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU) am Freitag in den Bundestagswahlkampf. Doch mit welchen
Themen, wenn sich die Regierungschefin und ihre Partei ausschließlich mit
nichtssagenden Floskeln zur Schau stellen? Die zündende Idee: DDR geht immer.
Gregor Gysi (Die Linke) hatte ja in dieser Woche auch ins Schwarze getroffen
und mit seiner Aufforderung, sich wie einst im Osten am Badestrand nackig zu
machen, die Titelseite der Bild erobert. Mit Hemd und Hose
posierte er für eine Fotostrecke in der Dienstagausgabe neben FKK-Fans am
Müggelsee.
Eine Neuauflage der plumpen Rote-Socken-Kampagne von Mitte der 90er Jahre sollte es für Merkel aber dann doch nicht werden. Kurz vor dem Jahrestag des Mauerbaus am 13. August zog es sie ins Mekka des Antikommunismus, das ehemalige Gefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen. Hier wird gerade für knapp neun Millionen Euro, bezahlt von Bund und Land Berlin, die Fassade aufgefrischt. Und noch ein weiterer Anlass ließ sich aus dem Hut zaubern, die »Arbeit gegen Linksradikalismus« für die sie die Gedenkstätte ausdrücklich lobte. »Denn das sind Erscheinungsformen von heute, die wir nicht negieren können, sondern um deren Bekämpfung wir uns kümmern müssen. Dieser Ort ist besser als andere geeignet, dass wir dies auch authentisch tun können«, postulierte sie nach dem Besuch des früheren Knastes. Hohenschönhausen-Chef Hubertus Knabe, der sein Horrorkabinett gegenüber der Berliner Zeitung im Jahr 2000 schon mal als »Dachau des Kommunismus« bezeichnet hatte, stand beseelt daneben.
Der Frau, die in der DDR
Karriere in der Wissenschaft gemacht hatte, bereitete Knabe den ganz großen
Bahnhof. Dutzende Journalisten wurden zunächst in den Innenhof des ehemaligen
Gefängnisses geleitet und warteten dort auf die Kanzlerin. Wie von Geisterhand
schlossen sich zwei riesige Eingangstore. Ganz um Authentizität bemüht dann der
Auftritt Merkels: Flankiert von Knabe, der Kulturstaatsministerin Monika
Grütters (CDU) und Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) wurde sie
»eingeschleust«. Lederer, dem so viel Schützenhilfe im CDU-Wahlkampf wohl etwas
unheimlich wurde, setzte sich noch vor dem einstündigen Rundgang durch die
früheren Knastgebäude schnell wieder aus der Besuchergruppe ab. Seine Partei,
stets bemüht darum, sich von den Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR von 1961 zu
distanzieren, plakatierte am selben Tag einen Spruch zum Mauerbau-Jahrestag am
Karl-Liebknecht-Haus in Berlin-Mitte: »Schon eine Mauer war zuviel«,
prangt da in riesigen Lettern seit Freitag neben einem weiteren Riesenposter,
das auf das »Wahlquartier Die Linke« hinweist. Der Kultursenator wird noch
einmal am Sonntag zum Zuge kommen und mit Grütters bei der offiziellen Gedenkveranstaltung
nach einer Andacht in der »Kapelle der Versöhnung« am Mauermuseum in der
Bernauer Straße einen Kranz niederlegen.
Selbiges tat Merkel am
Freitag in Hohenschönhausen, besser gesagt zupfte sie Schleifchen eines
Blumengebindes an einem Stein für die »Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft
1945–1989« zurecht. Bewegt zeigte sich Merkel noch von einem »Schlüssel aus
Bautzen«, der ihr übergeben wurde und den sie nun im Kanzleramt aufhängen
wolle. Das »Unrecht in der DDR« dürfe nicht in Vergessenheit geraten, sagte
sie, bevor sie wieder in ihre Limousine stieg.