"junge Welt" 24.11.2018
Kollege »Pirol«
Am Mittwoch starb Peter Wolter, jW-Redakteur, Kundschafter, Genosse und Freund
Stefan Huth
Als Peter Wolter im
Sommer 2004 als neuer Mitarbeiter in die Redaktion der jungen Welt kam, war
er 57 Jahre alt. Hinter ihm lag bereits ein bewegtes Leben mit einer
beeindruckenden Karriere, nicht nur im bürgerlichen
Nachrichtengewerbe. Die jW bot ihm eine neue politische Heimat und ein reiches
journalistisches Betätigungsfeld. Viele Quereinsteiger mit Spezialkenntnissen
prägten und prägen das jW-Team. Als Publizist, der
sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat, konnte Peter das Blatt von Beginn
an mit seinem Erfahrungsschatz und auch mit seinen Kontakten bereichern. Schier
unermüdlich drängte er darauf, die Redaktionsarbeit stärker zu professionalisieren.
Peters Weg zu uns verlief
alles andere als geradlinig. Eingestellt hatte er sich ursprünglich auf einen ruhigen Lebensabend »in der sozialistischen
Etappe«, in der DDR, dem »besseren Deutschland«, wie er stets betonte. Doch die
Konterrevolution der Jahre 1989/90 warf seine Planungen gründlich über den
Haufen.
Aufgewachsen in Münster, erzogen von einem antifaschistischen Vater, begehrte Peter
früh auf gegen Autoritäten. Nach eigenem Bekunden war er vermutlich der erste
Schüler seines altehrwürdigen katholischen
Gymnasiums, der aus der Kirche austrat, was einen kleinen Skandal auslöste.
Einen radikalen Antiklerikalismus pflegte er zeitlebens. Auf seine humanistische
Bildung blieb er dagegen stolz, auch auf seine Beherrschung des
Masematte, einer Münsteraner Spielart des Rotwelsch. Überhaupt begann er
früh, sich für die Lage des Proletariats zu
interessieren.
Nach dem Abitur zog es
Peter fort aus der Provinz, fünf Jahre fuhr er
zur See - zunächst mit der Handelsmarine, später schlug er eine
Offizierslaufbahn bei der Bundesmarine ein, lernte auf dem Segelschulschiff »Gorch
Fock«. Zum Leutnant zur See befördert, ging er schließlich zu den Kampfschwimmern.
Das Meer hat er immer geliebt, es war seine Sehnsucht.
Der US-Krieg in Vietnam weckte Peters politisches
Bewusstsein. Er nahm in seiner Heimatstadt ein Studium der Publizistik,
Soziologie und Philosophie auf und trat im Frühjahr
1973 in die DKP ein. An die FU Berlin gewechselt, schloss er sich der SEW an
und lieferte sich Scharmützel mit Anhängern maoistischer Splittergruppen. Mit
seinem Eintritt in die Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für
Staatssicherheit der DDR (HVA), auf den er selbst hingearbeitet hatte, war damit Schluss. In dem
Sammelband »Kundschafter im Westen« (Berlin 2003) berichtet
er über seinen Weg in eine Doppelexistenz.
Als »Solokommunist in feindlicher Umgebung«, als Aufklärer mit dem
Decknamen »Pirol« wollte Peter seinen »kleinen
Beitrag zur Verhinderung eines Atomkriegs leisten«. Er versorgte die Berliner
Zentrale der HVA bis zum Ende der DDR mit Informationen, nicht nur aus der Bundeshauptstadt Bonn. Peter arbeitete für die
Nachrichtenagenturen dpa und ddp, wurde in den 80er Jahren
schließlich Chef vom Dienst bei Reuters in Hamburg. Im Rahmen seiner journalistischen
Tätigkeit kam er immer wieder in Kontakt mit prominenten Politikern. Über chiffrierten
Morsefunk empfing er seine Anweisungen, Filmmaterial schickte er vom Hauptbahnhof
Köln mit dem Nachtexpress Paris-Moskau in einem toten Briefkasten auf die Reise. »Nervenproben« gab es reichlich, zweimal wäre
er um ein Haar enttarnt worden. Aufgeflogen ist er schließlich 1991
durch Verrat. Es folgten Untersuchungshaft und 1995 eine Verurteilung zu zwei
Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung.
Mit der journalistischen
Karriere war es dadurch einstweilen vorbei. Doch Peter ließ sich nicht unterkriegen, blieb seinem Beruf und seiner
Leidenschaft treu, wurde Mitgründer und danach viele Jahre hindurch Leiter des
Obdachlosenmagazins Draußen in Münster. Auf den Kanaren übernahm er die
Redaktion einer deutschsprachigen Tageszeitung.
Verlief
Peters Weg zur jW zwar nicht geradlinig, so war er doch
konsequent. Kundschafterkollegen publizierten hier regelmäßig, der DDR war und ist man nicht nur positiv verbunden, weil
die Zeitung ihr die Existenz verdankt. Peter war zunächst für den Bereich
Interview verantwortlich, ab 2006 übernahm er als Nachfolger von Ulla Jelpke,
seiner späteren Lebensgefährtin, die Leitung des Inlandsressorts. Was Themen
betraf, so sprudelte er über vor Ideen, als Nachrichtenmensch war er stets
bestens informiert und vielfältig interessiert. Seine Art der Gesprächsführung war oft auf beispielgebende
Weise konfrontativ. Wie Peter die Sache anging, lässt sich gut an einem
Interview studieren, das er mit dem 2017 verstorbenen Sänger Gunter Gabriel führte
(kurzlink.de/gabriel-intv). Konflikten ging er nie
aus dem Weg, als Münsteraner »Sturkopp« versuchte er
mal knurrig, mal polternd, meist jedoch charmant, der Redaktion journalistische
Phrasen (»Alleinstellungsmerkmal«, »zähes Ringen« etc.) auszutreiben oder sie für die Formulierung ansprechender Überschriften
zu sensibilisieren.
Auch nach Beginn seiner schweren Erkrankung vor drei Jahren riss der Kontakt ins jW-Team nicht ab. Regelmäßig
war seine am Berliner Alexanderplatz gelegene Wohnung mit direktem Blick auf den Bahnhof Anlaufpunkt für feucht-fröhliche
Feierabendtreffs. Auch auf seiner letzten Station, einem Hospiz in Neukölln, wurde Peter von Freunden und Kollegen gestützt
und begleitet, war sein Zimmer allabendlich mit Besuchern gefüllt. Peter blieb
bis zuletzt geistig präsent und zu Scherzen aufgelegt. Noch an seinem vorletzten
Abend wurde ihm durch einen Emissär »für seine Verdienste bei der Sicherung der
DDR und der Warschauer Vertragsorganisation« ein Orden des russischen
Fallschirmjäger-Traditionsverbandes verliehen. Er nahm die Auszeichnung mit großem
Stolz entgegen. Am Mittwoch in den frühen Morgenstunden starb Peter Wolter,
71jahrig. - Leb wohl, Freund und Genösse, du wirst uns sehr fehlen.