Junge Welt

 

13.02.2013/Inland/Seite 4


Propaganda nervt

Wenig Interesse an »Stasi-Zeitzeugen«-Programm

Wo früher der Stasiknast war, blüht heute die Propaganda. Seit 2011 gibt es in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen ein »Koordinierendes Zeitzeugenbüro«. Dort können sich Bildungseinrichtungen »jemanden holen«, der »spezielle Erfahrungen mit der DDR-Diktatur« gemacht hat. Im Programm: 160 vor allem frühzeitig ausgebürgerte oder freigekaufte »Zeugen«. Am Dienstag berichtete die Mitteldeutsche Zeitung von einer ersten Auswertung.

Hatte sich (der westdeutsche) Gedenkstättendirektor Hubertus Knabe noch zu Jahresbeginn »irritiert gezeigt«, daß vor allem »Westdeutsche und Ausländer« von seinem »Bildungsprogramm« Gebrauch machten, lobte die Studie nun »die sonst eher desinteressierten Ostdeutschen«. So hat Thüringen, vor Berlin und Brandenburg, »einen Spitzenplatz« belegt, wie der FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth betonte. Zugleich attackierte der 36jährige Jungpolitiker Sachsen-Anhalt und forderte die dortige CDU-SPD-Koalition gar auf, sich zu rechtfertigen. Denn das Land an der Mittelelbe dümpele knapp vor Bremen und dem Saarland an drittletzter Stelle. »Das geht so nicht!«

Der Beitrag löste erheblichen Widerstand bei der ost-mitteldeutschen Leserschaft aus. »Das hört sich an, als ob Propagandisten durch Schulen geschickt würden, um Kindern ein linientreues Bild über die DDR einzuimpfen«, kommentierte einer. Ein anderer findet, Zeitzeugen gebe es in Sachsen-Anhalt schon genug, »da bedarf es nicht der Werber ihres eigenen Elends, die auf Honorarbasis durch die Lande ziehen und ihre Bezüge aufbessern«. Ein dritter Leser wies auf »Hartz-IV-Elend, Tafeln, Suppenküchen, Kleiderkammern, Zweiklassenbildung und -medizin in der heutigen BRD« hin. Da hätten viele Sachsen-Anhalter »doch selbst den Vergleich«. Und ein Vierter fragte schließlich: »Was haben wir denn noch vor uns, wenn die Hetze auf ein untergegangenes System immer noch so wichtig ist?«

(sbo)